„Arisierung“ der Spiegelfabrik

Die Spiegelfabrik der Familie Midas befindet sich seit 1906 in der Lange Str. 53.

Sie wurde 1848/49 von Jonatan Levi Lehmann in Fürth gegründet. Der erste Standort der Firma war in der Schwabacher Straße (heute Nr. 43). Etwa um 1906 zog die Firma um, und zwar in die Lange Str. 53. Lehmann kaufte den Grundbesitz an der Lange Straße im Jahre 1906 für 110.000 M und erwarb 1919 noch einen Bauplatz (Pl.No.1008) für 6.450 M dazu. Auguste Lehmann heiratete Adolph Midas im Jahr 1872. Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor.

Draufsicht auf die ursprüngliche Spiegelfabrik (Auszug aus dem Rechnungskopf der ehemaligen Spiegel- und Spiegelglasfabrik J. L. Lehmann)

1938 wurden alle jüdischen Gewerbebetriebe auf Anweisung der Nazis erfasst.
Laut Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe der Industrie- und Handelskammer zu Nürnberg von 1938 wird dort unter der Buchnummer 3493 aufgeführt: J.L. Lehmann Spiegel- u. Spiegelglasfabrik Langestr. 53

Als Inhaber, Gesellschafter und Vorstandsmitglieder waren eingetragen:

Joseph Max Midas, Fürth, geb. 6.10.1873, Jude, DStA
Lothar Midas, Fürth, geb. am 8.03.1875, Jude, DStA
Ernst Mohr, Fürth, geb.16.03.1892, Jude, DStA

(Stadtarchiv Fürth)

Joseph Midas, Lothar Midas, Hugo Midas und Paul Midas (von links nach rechts, undatierte Aufnahme während des Ersten Weltkrieges)

Am 13. August 1938 wurde die Spiegelfabrik der Familie Midas per Kaufvertrag „arisiert“. Es war ein „Verkauf“ unter Zwang.

Der Rückerstattungsantrag, welcher von Joseph Max Midas und Lothar Midas auf Grundlage des Gesetzes 59 der Militärregierung an das Zentralanmeldeamt Bad Nauheim am 29. Juli 1948 gestellt wurde, gibt detailliert Auskunft, wie dieser „Verkauf“ unter Zwang ablief. Der Rückerstattungsantrag wurde als eidesstattliche Erklärung abgegeben.

Die Familie Midas wurde verschiedenen Drohungen und Repressalien ausgesetzt, u.a. wurde Herr Joseph M. Midas als Rassenschänder denunziert und angedroht, die Auswanderung der Kinder zu unterbinden.

Im Einzelnen heißt es in dem Rückerstattungsantrag:

„Die Verfolgten sind Juden, eine Verkaufsabsicht oder -angebot bestand nicht. Stadtrat SANDREUTHER eröffnete den Firmeninhabern namens der N.S.D.A.P., dass sie zum Verkauf gezwungen seien, und es fanden dieserhalb mehrere Sitzungen statt, in welcher Sandreuther offene und versteckte Drohungen ausstiess, um den Verkauf an die von ihm praesentierten Kaeufer und zu den von ihm festgesetzten niedrigen Verkaufspreis zu erzwingen. Die von uns vorgelegten Schaetzungen des Betriebes des Architekturbueros Egerer in Fürth und eine zweite eines Nuernberger Architekten, dessen Namen uns entfallen ist, beliefen sich auf mehr als RM. 500,000.- Genauere Angaben sind mangels Unterlagen nicht zu machen.

Als wir die Preisangebote Sandreuthers ablehnten, wurden die Verhandlungen unterbrochen, und der Mitinhaber Joseph M. Midas der Gestapo als Rassenschaender denunziert.

Die Vernehmung der 3 Sekretärinnen ergab die Haltlosigkeit der Anzeige, die Gestapo liese die Anklage fallen, und Sandreuther nahm die Verhandlungen wieder auf. Als wir fest blieben, erklaerte Sandreuther, dass ohne den Verkauf die Paesse für den in der Auswanderung begriffenen Sohn Erich Midas und seiner Familie nicht ausgehaendigt werden würden, und um deren Ausreise zu ermoeglichen, blieb uns nichts uebrig, als die von Sandreuther ausgearbeiteten Verkaufsvertraege zu unterschreiben.

Aus den angefuehrten Tatsachen geht hervor, dass eine Entziehung im Sinne des Art. 2 stattgefunden hat und der Anspruch wird auch auf Kategorien b und c gestützt. Der Verkauf wird hierdurch nach Art. 4 angefochten.“

„Der Kaufpreis für Buettner & Stiegler betrug

RM 52,100.- für Gebaeude und Grundstuecke
14,264.- für Maschinen und Einrichtung
zusammen 66,364.-

von welchen B. & S. aus fadenscheinigen Gründen noch 3,364.- in Abzug brachten.“

„Zahlungen seitens B. & S. erfolgten

am 7. Oktober 1938 RM 60,000.-
am 12. Mai 1939 3,000.-

auf das Konto der Firma J.L.Lehmann bei der deutschen Bank in Fuerth.“

„Soweit erinnerlich, war zur damaligen Zeit keine freie Verfuegung über das bezahlte Entgelt möglich.
Das Entgelt war kein angemessener Verkaufspreis. Der Wert des Grundstueckes betrug weit über 150,000.-, der der Einrichtung und Maschinen weit über 60,000.-
Die seinerzeitige Schaetzung durch Architekturbuero Egerer in Fürth befindet sich nicht mehr in unserem Besitz, sodass unsere Angaben nur annaehernde sind.“

(Rückerstattungsantrag aufgrund des Gesetzes 59 der Militärregierung. Schreibfehler in der Originalquelle sowie die darin verwendete Rechtschreibung wurden beibehalten.)

Am 24. Oktober 1938 teilt die Industrie- und Handelskammer dem Oberbürgermeister von Fürth folgende Änderung des Verzeichnisses der juedischen Betriebe mit:

„J.L.Lehmann, Fürth, Langestr. 53; die Gesellschaft hat sich aufgelöst und ist in Liquidation getreten.“

Es scheint, dass nicht einmal der wesentlich zu niedrig angesetzte Kaufpreis bei der Familie Midas angekommen ist. Dies ergibt sich aus einer weiteren eidesstattlichen Versicherung von Dr. Erich Midas, die er in den USA zur Vorlage beim Bayer. Landesentschädigungsamt abgab. Herr Midas schreibt:

„Ich bin mir ganz sicher, dass mein Vater Josef Max Midas und auch meine Mutter Emmi Midas, die ihnen auferlegten Sonderabgaben (z.B. mussten nach der Pogromnacht von 1938 alle Juden, auch die emigrierten, aufgrund der „Verordnung über eine Sühneleistung der Juden“ 20 Prozent ihres am 26.04.1938 angemeldeten Vermögens an das Finanzamt abführen (RGBl. I, S.1638f)) nicht aus dem Kaufpreiserlös rückerstatteten vermögens bezahlt haben.

Mein Vater hat mir ausdrücklich erklärt, daß er, um die Sonderabgaben entrichten zu können, seine bedeutende Markensammlungen durch das bekannte Markenhaus F. Köhler, Berlin versteigern lassen musste.

Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Kaufpreiserlöse aus dem zwischenzeitlich rückerstatteten Vermögen von der Firma Lehmann, an der mein Vater als Gesellschafter beteiligt war, in das Privatvermögen meines Vaters übergingen. Ich konnte irgendwelche Kontobewegungen in dieser Richtung nicht feststellen“.

(Eidesstattliche Versicherung von Dr. Erich Midas. Schreibfehler in der Originalquelle sowie die darin verwendete Rechtschreibung wurden beibehalten.)

Aufgrund einer Verordnung der entsprechenden Militärregierung, mussten alle „Arisierungsvorgänge“, die während der Nazizeit durchgeführt wurden, gemeldet werden. Am 31.10.1946 kamen Büttner & Stiegler dieser Aufforderung nach und meldeten an die Außenstelle des Landesamtes für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung Fürth/Bay. den am 13. August 1938 „erworbenen Besitz“ von der Firma Lehmann in Fürth, Langestr. 53 an (Staatsarchiv Nürnberg).

Daraufhin wurde ab dem 23. April 1947 die „Spiegelfabrik“ der Militärregierung unterstellt. Im „Report of Property under Control“ vom 23. April 1947 heißt es:

„Das Gebäude und der Grund Langestr.53 wurde für 52.100 RM gekauft und die Maschinen in Höhe von 8.537 RM übernommen. Büttner & Stiegler verkauften von den beschriebenen Vermögen am 29.03.1940 660 qm auf der Ostseite an Herrn Wolfgang Staubitzer, Plan Nr. 1008 1/3, u. ebenfalls den Grasgarten u. Lagerplatz am 27.11.1940 für 12.500 RM an Kriegbaum.
Name des Anspruchsstellers: I.L. Lehmann (Partners: Joseph Midas and Lothar Midas) und Name des jetzigen Eigentümers: Büttner & Stiegler, Glas- und Spiegelfabrik, Fürth Langestrasse 53.“

Nach einer längeren mühseligen juristischen Auseinandersetzung wurde am 6.7.1950 das Rückerstattungsverfahren durch Vergleich mit Büttner & Stiegler abgeschlossen, indem die Antragsgegner an die Antragssteller eine Nachzahlung von 50.000 DM leisteten, 10.000 DM waren sofort zu bezahlen und 4.000 DM p.a. Die beiden Grundstücke „Staubitzer“ und „Kriegbaum“ wurden an die Familie Midas zurückgegeben (Freilassungsverfügung vom 8.7.1950 der Wiedergutmachungsbehörde III).

Nachdem die Familie Midas Deutschland verlassen hatte, ging es ihr sehr schlecht. Der Sohn von Joseph Midas, Erich, und seine Frau Thea sowie die Tochter Margarete konnten 1938 in die USA ausreisen, nachdem ihnen die Einreise durch eine beglaubigte Bürgschaftserklärung seitens Iphigene Ochs Sulzberger ermöglicht wurde.

Joseph Midas und seine Frau konnten 1939 nach England ausreisen. Während ihres Aufenthalts in England durften sie nicht arbeiten. Ab 1943 lebten auch Joseph Midas und seine Frau in den USA und verdienten sich dort den Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs von Joseph Midas.

Affidavit seitens Iphigene Ochs Sulzberger vom 25. März 1938, welches Erich, Thea und Margarete Midas die Einreise in die USA ermöglichte (Dokument bereitgestellt durch Carole Meyers, Enkelin von Erich und Thea Midas).

In einer eidesstattlichen Versicherung von Dr. Erich J. Midas vom 14.3.1956 findet sich ein detaillierter Lebenslauf von Josef M. Midas, Auszüge daraus:

„Das genaue Einkommen meines Vaters ist mir nicht bekannt. Ich kann jedoch mit Sicherheit sagen, daß er wirtschaftlich zur Spitzenschicht der Bevölkerung in Fürth gehörte. Mein Vater besass eine komfortable Wohnung mit 10 Zimmern. Die Fabrik meines Vaters hatte ca. 50 Arbeiter und Angestellte.

Auf Grund des Lebensstandartes meines Vaters muss sein Einkommen mindestens 20.000.- RM jährlich bis zum Jahre 1937 betragen haben. In den Jahren von 1937 bis 1939 klagte mein Vater sehr stark über den Geschäftsrückgang infolge des Naziboykottes. Er sprach von grossen Verlusten, sodass ich annehmen muss, dass mein Vater ab 1.1.38 kein Einkommen mehr erzielte.

Meine Eltern verließen am 1.8.39 Deutschland und fanden in London ein vorübergehendes Asyl bis sie dann im Jahre 1943 die Einreiseerlaubnis für die Vereinigten Staaten erhielten. (…)

Während des Aufenthaltes in England von 1939 bis 1943 durften meine Eltern keinerlei Tätigkeit ausüben und hatten deshalb auch kein Einkommen. Von 1944 bis zu seinem Tode im März 1949 hat mein Vater, über 70 Jahre alt, durch Vertretungen durchschnittlich 40 Dollar im Monat verdient, während meine Mutter erwerbsunfähig war. Während der ganzen Zeit von 1.8.39 bis zum Tode meines Vaters wurden meine Eltern durch Geschenke von Freunden und durch Unterstützungen von uns Kindern erhalten.“

(Eidesstattliche Versicherung von Dr. Erich Midas. Schreibfehler in der Originalquelle sowie die darin verwendete Rechtschreibung wurden beibehalten)

Den Erben wurde 1957 eine Kapitalentschädigung von 18.518 DM zugesprochen – aber kein Anspruch auf Rente.